„Dark Academia“ in der Shakespeare-Welt

Ein Meisterwerk aus dem Literaturgenre „Dark Academia“ ist der Roman „If We Were Villains“ von M. L. Rio. Die deutsche Ausgabe ist 2023 erschienen und kann in der Bibliothek ausgeliehen werden.
Am altehrwürdigen Dellecher Classical Conservatory haben sechs junge Studenten Angst vor Richard, einem Kommilitonen, der zunehmend aggressiv mit ihnen rivalisiert: Wer bekommt die beste Schauspiel-Rolle und den größten Applaus? Wer hat (oder behält) die attraktivste Freundin?
In der Nacht, als die Studenten Shakespeares „Cäsar“ aufführen, passiert ein Verbrechen, das nicht nur die Traditionswelt von Dellecher aus den Angeln hebt, sondern auch die Zukunft der sechs verbleibenden Cliquen-Mitglieder für immer überschattet oder sogar zerstört.
Der ermittelnde Polizei-Ermittler beißt sich jahrelang die Zähne daran aus, die nebulösen Vorkommnisse dieser einen Nacht zu rekonstruieren. Währenddessen müssen Richards Kommilitonen mit den moralischen Konsequenzen fertig werden.
„Ich hatte es noch immer vor mir. Richard, schwebend an der Grenze zwischen Leben und Tod, blutend nach Luft ringend – und wir anderen, die nur zusahen und darauf warteten, dass der Vorhang fiel. Rache und Tragödie, hätte ich am liebsten gesagt, Shakespeare selbst hätte es nicht besser hinbekommen.“
Oliver in „If We Were Villains“
Die Spannung, die Autorin M. L. Rio geschickt aufbaut, liegt nicht nur in der allmählichen Enthüllung der wahren Begebenheit, sondern ist auch psychologischer Natur. Denn der Tod ist nicht das Ende der Heimsuchung.
Wie schuldig ist nicht nur der, der etwas tut, sondern auch der, der etwas unterlässt? Und wer könnte den Abgrund erahnen, der sich auftut, wenn einer die Schuld des anderen auf sich nehmen möchte?
„If We Were Villains” von M. L. Rio. Penguin Verlag 2023
Freundschaft und Schuld bei John Boyne

Der irische Autor John Boyne hat zwei berührende (fiktive) Geschichten über ein Geschwisterpaar geschrieben, dessen Vater Kommandant eines NS-Konzentrationslagers ist. Da die Familie unmittelbar neben dem Lager lebt, kommen der neunjährige Bruno und der gleichaltrige Jude Schmuel miteinander in Kontakt – eine heimliche Freundschaft beginnt. Davon handelt die Fabel „Der Junge im gestreiften Pyjama“, ein 2006 erschienener Weltbestseller.
Eines Tages verschwindet der neunjährige Bruno auf tragische Weise – ein einschneidendes Ereignis, das das lange, wechselhafte Leben seiner Schwester Gretel prägen und überschatten wird. Hier setzt der Folgeband „Als die Welt zerbrach“ ein, den Autor Boyne 2022 veröffentlichte. Schuldgefühle werden Gretel ihr Leben lang belasten: Schuld an Brunos Schicksal und Mitschuld an den Ereignissen jenseits des Lagerzauns.
„Und nach unserem Umzug an jenen anderen Ort hatte ich mich nur ein einziges Mal auf der anderen Seite des Zauns aufgehalten, an dem Tag, als mein Vater mich mit ins Lager genommen hatte, um mir seine Arbeit zu zeigen. Ich redete mir ein, nur Zuschauerin gewesen zu sein, nichts weiter, dass mein Gewissen rein sei, aber die Frage nach meiner Mitschuld an den Taten, deren Zeugin ich geworden war, ließ mich nicht los.„
Wir sehen Gretel nach Kriegsende in Paris, wo sie mit ihrer Mutter verzweifelt versucht, eine neue Identität anzunehmen und eine Zukunft aufzubauen. Der Plan stößt auf erbitterten Widerstand, so dass sich die junge Frau zu einer Übersiedlung nach Australien entschließt. Dort zeigt ihr ein zufälliges Zusammentreffen mit einer Schlüsselfigur aus ihrer Vergangenheit, dass auch am anderen Ende der Welt die Schrecken des Lagers fortwirken und die Schuldfrage sich immer stellt.
In Australien kann Gretel nicht bleiben, also zieht sie weiter nach England. Dort wird sie zwar sesshaft, aber ihr Schuldkomplex bestimmt weiter ihr Leben, ob es nun um Partnerwahl, Familiengründung oder das Verhältnis zu ihrem Sohn geht.
In dem fesselnden Roman wechseln die Kapitel aus Gretels bewegter Vergangenheit mit Schilderungen ihres ebenfalls turbulenten Lebensabends in London in unserer Zeit. Auch jetzt spitzen sich die Ereignisse noch einmal zu: Gretel ist bereits über 90 Jahre alt, als ein Paar mit einem Sohn in eine Wohnung im gleichen Haus einzieht. Gretel erkennt das Leid des Jungen und diesmal lässt sie sich nicht davon abhalten, einen Neunjährigen retten zu wollen …
„Ich habe es nie geschafft, jemanden zu retten“, rief ich (…) Und vielleicht ist es zu spät, um Ihre Frau zu retten. Aber bei Gott, ich will versuchen, Ihren Jungen zu retten (…) Vielleicht werde ich dann wenigstens ein Stück weit von meinen Sünden erlöst.“
Gretel zu Henrys Vater in „Als die Welt zerbrach“
- „Der Junge im gestreiften Pyjama” von John Boyne. Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH 2023
- „Als die Welt zerbrach” von John Boyne. Piper Verlag GmbH 2024
Die KI und die Liebe: Ein Roman-Beispiel

Was passiert in unseren eigenen vier Wänden, wenn ein menschenähnlicher Android mit am Küchentisch sitzt? Darüber hat der Ian McEwan 2019 einen vielschichtigen Roman geschrieben: „Maschinen wie ich“.
Der britische Autor lässt ein Liebespaar, Miranda und Charlie, mit dem menschenähnlichen, von KI gesteuerten Androiden Adam in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Adam entwickelt sich nicht nur zu Charlies Konkurrenten um Mirandas Gunst. Er eröffnet Charlie auch, dass Miranda nicht ehrlich sei und ein dunkles Geheimnis habe. Je mehr sich Mirandas Vergangenheit enthüllt und Adam sich einmischt, nimmt die Geschichte Fahrt auf bis zu einem dramatischen Finale – mehr soll hier nicht verraten werden.
Diese Konstellation ist sehr spannend, geht es doch um die großen Themen Liebe, Schuld, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit – nun aber auf der Ebene Mensch-Mensch-Maschine. Kann eine Maschine ein – eigentlich typisch menschliches – Gerechtigkeitsempfinden besitzen, das auch mal im Widerspruch zu juristischen Gesetzen steht? Nimmt eine Maschine wahr, was Menschen als (un-)moralisch ansehen? Und wie wirkt sich die einprogrammierte Geradlinigkeit der Maschine auf das oft inkonsequente, chaotische Verhalten der Menschen aus?
Der Roman liefert viele Denkanstöße, wie es sich anfühlen könnte, wenn Maschinen auch auf emotionaler und ethischer Ebene in das Leben von Menschen eingreifen. Schade ist nur, dass Autor McEwan seinen tiefgründigen Plot rund um die Dreiecksbeziehung nicht noch weiter ausführt und sich stattdessen immer wieder in langwierigen wissenschaftlichen Exkursen und seiner eigenen teils fiktiven Geschichtsschreibung verliert.
Das Buch ist in der Bibliothek ausleihbar.
Ian McEwan: „Maschinen wie ich“
Zürich: Diogenes Verlag AG 2019
Hilfe bei der Abiturvorbereitung

Wichtig für Schülerinnen und Schüler der Q2: In der Bibliothek gibt es viele nützliche Medien für die Abiturvorbereitung, die für begrenzte Zeit ausgeliehen werden können.
Zum einen sind da die Bücher, die gezielt auf das diesjährige Abitur vorbereiten und in vielen Fällen die Prüfungsaufgaben der Vorjahre enthalten. Daneben gibt es eine Reihe von Büchern, die im Überblick den Oberstufen-Lernstoff griffig zusammenfassen.
Es lohnt also, bald in der Bibliothek vorbeizukommen und die gewünschten Medien einzusehen oder auszuleihen.
Thomas Mann:
Schlanke Meisterwerke

Das berühmte Buch „Der Zauberberg“ von Thomas Mann wird in diesem Jahr von vielen gewürdigt, weil es vor genau 100 Jahren erschienen ist. Man kann sich dem großen Schriftsteller Thomas Mann aber auch in weniger umfangreichen Meisterwerken nähern. So gibt es in der Bibliothek einen kleinen Band, der sowohl die beiden Erzählungen „Tonio Kröger“ sowie „Mario und der Zauberer“ umfasst.
In der Künstlernovelle „Tonio Kröger“, die im Jahr 1903 erschienen ist, stellt Verfasser Thomas Mann einen feinfühligen junger Außenseiter aus großbürgerlichen Verhältnissen in den Mittelpunkt.
Tonio Kröger verlässt seine enge norddeutsche Heimatstadt und hat in München als Schriftsteller Erfolg. Im Gespräch mit der Malerin Lisaweta Iwanowa beklagt der sensible Künstler seine Zerissenheit:
Ich stehe zwischen zwei Welten, bin in keiner daheim und habe es infolge
dessen ein wenig schwer. Ihr Künstler nennt mich einen Bürger, und die Bürger sind
versucht, mich zu verhaften … ich weiß nicht, was von beiden mich bitterer kränkt.
Tonio Kröger in der gleichnamigen Erzählung
Auf einer Fahrt in den Norden sieht Tonio Kröger unerwartet seine beiden Jugendlieben wieder, eine Klassenkameradin und einen -kameraden. Allerdings kommt es zu keinem Gespräch. Tonio würde sich den beiden so gerne nähern, sich ihnen verbunden und zugehörig fühlen, doch weiß er, dass sie ihn nicht verstehen würden: Denn ihre Sprache war nicht seine Sprache.
In dem kleinen Band stellt der S. Fischer-Verlag dem „Tonio Kröger“ eine weitere Erzählung zur Seite: „Mario und der Zauberer“, erschienen 1930. Darin schildert Autor Thomas Mann das Aufblühen und Hereindringen des Faschismus in der Spätsommerhitze eines italienischen Urlaubsortes.
Der Besuch einer Zauber-Vorführung sollte für die Reisenden aus Deutschland der Höhepunkt der Ferien werden. Doch befremdet und beunruhigt der Auftritt von Cavaliere Cipolla, so tückisch versteht es der Hypnotiseur, das Publikum nach seiner Pfeife beziehungsweise Peitsche tanzen zu lassen. Dann holt Cavaliere Cipolla den von Liebeskummer geplagten Kellner Mario auf die Bühne und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Der Band mit den beiden Erzählungen ist in der Bibliothek ausleihbar.
Thomas Mann: Tonio Kröger / Mario und der Zauberer. S. Fischer Verlag 2019
Jane Austen:
Zweisprachig besonders lesenswert

Zum Bestand unserer Bibliothek gehört eine zweisprachige Ausgabe von „Pride and Prejudice”. Das wahrscheinlich bekannteste Werk der englischen Schriftstellerin Jane Austen ist im Original im Jahr 1813 erschienen.
In der zweisprachigen Ausgabe kannst Du auf der linken Seite das englische Original von Jane Austen lesen und auf der gegenüberliegenden rechten Seite die deutsche Übersetzung.
Wenn Du eine englische Vokabel nicht kennst oder den englischen Satz nicht verstehst, kann Du die Passage rechts in der deutschen Fassung nachlesen und verstehst so, was gemeint ist. Dann kannst Du im englischen Text fortfahren. Wenn Dir das Lesen im englischen Text mit der Zeit zu anstrengend wird, kannst Du auf Deutsch weiterlesen und kommst so im Buch voran, bis Du wieder Lust auf das Englische hast.
Durch unterschiedliche Schriftgrößen entsprechen sich die englische und die deutsche Passage platzmäßig genau. Das heißt: Beim Umblättern der Seite bist Du an der gleichen Stelle in der Handlung, ob Du nun links oder rechts liest.
Auf die Weise kann man Jane Austens Sprache, die schon 200 Jahre alt ist, einmal im Original erspüren, muss sich aber nicht durch alle englischen Seiten arbeiten, um den Text insgesamt gelesen zu haben. Die Lektüre lohnt also in jedem Fall!
Jane Austen: „Stolz und Vorurteil / Pride and Prejudice”
Anaconda Verlag 2021
Franz Kafka:
Heute auch ein „Tiktok”-Star

Kafka – ein unverwechselbarer Name, der weltbekannt ist. Sogar ein Adjektiv leitet sich von dem Namen ab: Kafkaesk nennt man es, wenn Zusammenhänge unheimlich, rätselhaft oder absurd sind, wie sie Franz Kafka oft in seinen Werken schildert.
Im Hauptberuf arbeitete der Doktor der Rechtswissenschaft für eine Prager Versicherungsgesellschaft. Nachts schrieb er besessen, von Selbstzweifeln und Versagensängsten gequält.
Über seine literarischen Werke urteilte Kafka meist vernichtend. So bestimmte er, dass alles, was er geschrieben hatte, nach seinem Tod verbrannt würde, was zum Glück für die Nachwelt aber nicht geschah.
Zu Lebzeiten war der jüdische Schriftsteller nur innerhalb der deutschsprachigen Literaturszene bekannt, galt als feinfühlig und scheu. Er lebte in Prag, und seine Muttersprache war Deutsch. Heute ist er der meistgelesene Autor deutscher Sprache. In China zum Beispiel sind seine Werke Schullektüre. Auf „Tiktok werden Videos zu Kafka millionenfach aufgerufen.
Für viele Leser/-innen und Wissenschaftler/-innen gleicht der Autor Kafka einer Symbolfigur des modernen Menschen, der sich verloren und entwurzelt fühlt und von undurchschaubaren Mächten in absurde Situationen geführt wird. Kafka betrachtete die Welt als unergründlich, chaotisch und bizarr und trifft damit damals wie heute einen Nerv.
Autor Xaver von Cranach bezeichnet im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ (Ausgabe Nr. 23 vom 1. Juni 2024) Kafka als einen, der „keinen Zugriff auf die Welt“ hat. Ein Autor, der keine Gesinnung habe, lasse sich nicht vereinnahmen – oder aber für alles vereinnahmen.
So schreibt von Cranach: „Kafka war gesinnungslos, und dehalb können Philosophen im 20. Jahrhundert wie Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno genau so viel mit ihm anfangen wie TikTok-Teenager im 21. Jahrhundert.“ Zu Wort kommen in dem lesenswerten „Spiegel“-Artikel auch Autoren/-innen aus Sri Lanka, Argentinien, Nigeria, Israel und den USA mit ihrem Blick auf Kafka und seinen Einfluss.
Die „Spiegel“-Ausgabe liegt in der Oberstufenbibliothek aus und kann auch ausgeliehen werden, wie alle anderen „Spiegel“-Hefte der vergangenen beiden Jahre.
„Kafka war gesinnungslos,
und deshalb können Philosophen im 20. Jahrhundert wie Walter Benjamin
oder Theodor W. Adorno genau so viel mit ihm anfangen
wie TikTok-Teenager im 21. Jahrhundert.“
Xaver von Cranach im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“
Dystopien:
Düster und spannend

In Dystopien geht es meist um Menschen, die in einer zukünftigen Gesellschaftsordnung ihren freien Willen und ihre Einzigartigkeit verlieren. Autoritäre Mächte kontrollieren, steuern und entwürdigen den Menschen. Oft spielen auch Umweltkatastrophen, knappe Ressourcen und Seuchen eine Rolle.
Die beschriebene Welt wirkt zwar äußerst fremd, doch finden Leserinnen und Leser oft auch Bezüge zu ihrer Lebenswirklichkeit und erste Anzeichen von Kontrolle. Das Gegenteil der Dystopie ist die Utopie, die das Bild einer friedlichen, guten Zukunft zeichnet.
Sehr bekannte Dystopien sind „Schöne Neue Welt“ von Aldous Huxley (erschienen 1932), „1984“ von George Orwell (erschienen 1949), „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury (1953) oder „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood (1985).
Neuere Dystopien befassen sich oft mit Umbrüchen durch Digitalisierung und Globalisierung. In „Der Circle“ (erschienen 2014) und „Every“ (2021) von Dave Eggers geht es um einen Wirtschaftskonzern, der eine zugespitzte Mischung aus Apple, Facebook, Amazon und Google sein könnte. Der komplett transparente Mensch verbringt sein Leben ausschließlich auf Internet-Plattformen, die im Einklang mit der Ideologie und den Geschäftsinteressen des Konzern stehen.
Eine auch unter Schülerinnen und Schülern sehr bekannte deutschsprachige Dystopie ist „Corpus Delicti“ von Juli Zeh (2009) über eine Gesundheitsdiktatur.
Warum sollte man so düstere, pessimistische Bücher lesen? Nun, spannend sind Dystopien allemal – wer würde nicht gerne wissen, was die Zukunft bringt? Hinzu kommt der Gedanke, dass der Mensch Verantwortung hat für den Fortbestand der Menschheit und des Planeten.
Aldous Huxlex bringt es treffend auf den Punkt:
„This is possible:
For heaven’s sake be careful about it.“
Aldous Huxley
In Huxleys berühmtem Werk „Schöne neue Welt“ werden scheinbares „Glück“ des einzelnen und eine stabile Gesellschaftsordnung erzwungen durch wissenschaftlichen Fortschritt, Drogen und Konsum. Viele Dystopien sind also auch eine Aufforderung an den Menschen, sich gegen Kontrolle und Unterdrückung zu wehren, so lange er es noch vermag.
Alle hier genannten Werke sind in der Bibliothek ausleihbar. Mehrere davon sind in englischer Sprache.